Der lange Trip für den Taglöhner

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Blick auf die Altstadt Antwerpen und die Liebfrauenkathedrale.

Ein Matrose aus dem Luzerner Hinterland? Gerade so gut könnte ich auf dem Rheingrund nach Perlen tauchen, sagte der Angestellte des Rheinhafens. Aber einen Seebären aus Basel könne er mir problemlos vermitteln. Keine Option. Zu wenig lokal für den «Willisauer Bote». Die Suche geht via Facebook weiter. Und siehe da: Den Hinterländer Schiffsmann gibts. Edith Egli,  administrative Leiterin der Jugendbrassband Nebikon-Altishofen-Schötz, erinnerte sich an ihren ehemaligen Kornettisten: Claudio Achermann, 22-jährig, gebürtiger Urner, aufgewachsen in Nebikon. Ein paar Telefonate später ist mein Tagelöhner-Job perfekt und die Vorfreude gross.

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Angekommen auf dem Zeltplatz „Molen“ in Antwerpen: Der Opel von Taglöhner Bossart hat 699,3 Kilometer mehr auf dem Tacho.

 

Planänderung
Treffpunkt am Auhafen in Birsfelden. So wars geplant. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. „Ein Matrose muss belastbar sein“ heisst es schliesslich schon im Stellenbeschrieb. „Sehr geehrter Herr Bossart. Die Ausgangslage hat sich verändert“, teilt mir Alessandra Marelli Disponentin der Firma Fluvia mit. Zwei Sätze, mit Folgen. Statt in Birsfelden bei Basel soll ich in Antwerpen anheuern. 699,3 Kilometer und sieben Fahrstunden entfernt. Und so verbringe ich meine zweite Ferienwoche nicht wie geplant im Berner Oberland auf dem Bike, sondern lasse den Bleifuss sprechen. Autobahn und Tempomat lassen grüssen. Ich sagte „Bonjour“ in Colmar und Strassbourg, „gudden Dag“ in Luxemburg, lasse als waschechter Schweizer Brüssel links liegen und meldet mich schliesslich mit „can you speak English“ auf dem Campingplatz in Antwerpen an – flämisch ist nun wirklich nicht mein Ding.

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Wer in Antwerpen zur Party will, sollte die Augen offen halten.

Brücke? Tunnel!
Ah! Swiss? Wir verstehen uns von Anfang an. Marie Claire, die nette Dame am Camping-Empfang. Das Eis bricht „Principessa“, die dreifarbige Katzendame, der ich ein paar Streicheleinheiten verpasse. Item. Marie Claire kopiert meine ID. „Swiss are good“, sagt sie. Die Frage, wie sie zu ihrem Urteil kommt, scheitert an den Englischkenntnissen von ihr und mir. Doch sie reicht mir den Stadtplan. Ein Kreischen für den Zeltplatz. Ein Kreischen für die Ausgangsmeile. Dazwischen dick und fett die Schelde. Rund 500 Meter breit. Gemacht, dass selbst Kreuzfahrtschiffe mitten in Antwerpen  andocken können. Den Fluss aufwärts solle ich gehen. Rund drei Kilometer. Bis zum gelben Haus. Und dann die Flussseite wechseln. Et voilà. Dann sei ich mitten drin statt nur dabei, da wo „a lot of fun“ herrsche, das belgische Bier fliesse und Strassenmusiker den Ton angeben. Bis zum gelben Haus. Ich bin da. Eine Brücke? Fehlanzeige. Die Party muss ohne mich stattfinden. Die Schelte für Marie-Claire bleibt nicht aus. „No Bridge“. sage ich izu hr. Sie lacht. Mittlerweile weiss ich wieso. In Antwerpen geht Man(n) nicht übers Wasser, sondern unter diesem hindurch. Tunnel verbinden die einzelnen Stadtteile. Schiffe haben Vorfahrt.

 

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Wer über die Schelte auf die andere Flusseite will, geht unter dieser hindurch.

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Blick in den St.Annatunnel. Fotos Stefan Bossart

Die Rennstrecke unter Wasser
Im St. Annatunnel scheint die Zeit stehen geblieben sein. Zwei hölzerne Rolltreppen aus den 30er-Jahren führen 31 Meter unter Boden. Zwei wieder hinauf. Dazwischen liegt ein 570 Meter langer schnurgerader Tunnel. Weiss gekachelte Wände, graue Platten am Boden. Eine eigentliche Rennstrecke. Wer nicht aufpasst, wird mit einem kurzen Klingeln wieder auf die rechte Bahn gebracht. Das Hauptverkehrsmittel der Antwerpen ist das Fahrrad. Links. Rechts. Überall sind die Drahtesel. Selbst im engen Gang des Tunnels. Dies wäre zwar laut einem aufgehängten Schild „verboden“. kümmern tut dies niemanden. Klingeling. Klingeling. Sie sind lauter als Mechmets Geigenklänge. Ihn lerne ich im Antwerper Zentrum gleich mehrfach kennen. Zwei Euro werfe ich ihm für sein Spiel morgens um 9.00 Uhr in den Hut. Er dankt es mir. Mit einem freundlichen Winken. Gefühlte zehn Mal. Immer dann, wenn ich ihm aus einem anderen Strassencafé zuhört. Beim letzten Zusammentreffen macht er gar einen Knicks. Ich schenkt ihm jene sechs Euro, die der Besuch der Liebfrauen-Kathedrale gekostet hätte. Im Unesco Kulturerbe ist Beten zum Nulltarif unmöglich. Mechmet soll es recht sein.

Der Countdown
Es wird Abend in Antwerpen. Und mit der Dunkelheit steigt meine Spannung. Nun sollte das 110 Meter lange Tankschiff „Piz Julier“ und mit ihr auch Claudio Ackermann vor Ort sein. Erreiche ich ihn? Werde ich den Nebiker zwischen den tausenden von Ankerplätzen finden?

Dies lesen Sie in der Printausgabe vom Mittwoch. News vom Schiff gibt es in den kommenden Stunden trotzdem.

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